Eine Klägerin wollte ihre Immobilie mit 15 Jahren Restnutzungsdauer abschreiben, das Finanzamt bestand auf der typisierten Nutzungsdauer von 50 Jahren. Der vom Gericht bestellte Sachverständige schätzte die Restnutzungsdauer auf 19 Jahre. Das Gericht folgte der Einschätzung und betont, dass Ungewissheit zur Schätzung der Nutzungsdauer gehört (Az. 6 K 1506/17).
Das Wichtigste in Kürze:
- Die von der Klägerin angesetzte Restnutzungsdauer von 15 Jahren wurde vom Finanzamt nicht akzeptiert.
- Das Finanzgericht Köln beauftragte einen gerichtlichen Gutachter, der 19 Jahre Restnutzungsdauer ermittelte. Der Senat folgte seinen Ausführungen und urteilte zugunsten der Klägerin, dass die AfA auf Basis der 19 Jahre berechnet werden muss.
- Das Gericht betont in seiner Urteilsbegründung, dass jeder Schätzung naturgemäß Ungewissheit anhaftet und das Finanzamt dies berücksichtigen muss. Ziel beim Nachweis einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer ist größtmögliche Wahrscheinlichkeit und nicht die absolute Wahrheit.
Ausgangslage: Einspruch gegen typisierte Nutzungsdauer
Die Klägerin hat von ihrem verstorbenen Lebensgefährten das Nießbrauchrecht an einem vermieteten Bürogebäude mit Wohnungen, Lagergebäuden und einer Halle erhalten. Eigentümer der Immobilie sind die beiden Söhne des Verstorbenen zu jeweils 50 Prozent.
Im Jahr 2013 erwarb die Klägerin das hälftige Eigentum an der Immobilie von einem der beiden Söhne. Die Gesamtanschaffungskosten hat die Klägerin zu 75 Prozent dem Gebäude zugerechnet und auf dieser Basis die Absetzung für Abnutzung (AfA) ermittelt. Dabei ging sie von einer Nutzungsdauer von sechs Jahren aus, indem sie das Alter der Immobilie zum Zeitpunkt des Erwerbs (40 Jahre) von der typisierten Nutzungsdauer (50 Jahre) subtrahierte.
Das zuständige Finanzamt setzte die Einkommensteuer 2014 unter Vorbehalt der Nachprüfung fest. Im sich anschließenden Schriftverkehr kündigte es eine Änderung des Bescheids unter Annahme einer Nutzungsdauer von 50 Jahren an. Daraufhin beantragte die Klägerin unter Vorlage einer Ertragswert-Kurzberechnung der Handwerkskammer eine Änderung der Abschreibung auf 15 Jahre. 2016 wurde der Bescheid zu Einkommenssteuerfestsetzung mit einer Abschreibung von zwei Prozent pro Jahr (= 50 Jahre Nutzungsdauer) erlassen.
Gegen den Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Der Einspruch gegen die typisierte Nutzungsdauer von 50 Jahren wurde mit einem Kurzgutachten begründet. Das Gutachten bescheinigt dem Objekt einen insgesamt schlechten Zustand. Die Restnutzungsdauer für das Wohn- und Bürogebäude wird auf 34 Jahre beziffert, für die Halle sind es nur vier Jahre. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Die Klage
Die Käuferin reichte Klage ein und besteht weiterhin darauf, dass die Abschreibung nach der tatsächlichen Restnutzungsdauer berechnet wird. Mit der Klage reichte die Klägerin eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen ein, mit der er begründet, wie er auf die geschätzte Restnutzungsdauer kommt. Außerdem rät er darin dringend zu Sanierungsarbeiten und empfiehlt den Abriss der Halle.
Das Gericht hat seinerseits einen Gutachter beauftragt, um die Frage nach einer realistischen Restnutzungsdauer zu klären. Dieser Sachverständige ermittelte eine gewichtete Restnutzungsdauer von 19 Jahren, die die Klägerin für zutreffend anerkannte.
Die Begründung des Finanzamts
Das Finanzamt als Beklagte hält an der typisierten Nutzungsdauer von 50 Jahren fest. Es würden keine Anhaltspunkte für einen technischen Verschleiß vorliegen. Die vom Gutachter empfohlenen Sanierungsarbeiten seien aus ihrer Sicht nicht dringend gewesen, da diese bisher nicht durchgeführt wurden.
Gegen eine wirtschaftliche Entwertung der Immobilie spricht ihr hoher, von der Klägerin festgelegter Wert sowie die Tatsache, dass ausweislich der Steuererklärung eine deutlich positive Rendite mit dem Objekt erzielt wird.
Auf das vom Gericht beauftragte Gutachten reagiert der Beklagte dahingehend, dass er die ermittelte wirtschaftliche Restnutzungsdauer für plausibel und die Methodik für sachgerecht hält. Die Berechnung stelle aber dennoch keinen Nachweis einer verkürzten Nutzungsdauer im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG dar. Grund: Die wirtschaftliche Restnutzungsdauer gemäß § 6 Abs. 6 ImmoWertV und die Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 EStG unterschieden sich hinsichtlich ihrer Anwendung und Zielsetzung.
Die relativ kurze ermittelte Restnutzungsdauer resultiere ausschließlich aus der Gebäudeart, dem Gebäudealter und der Tatsache, dass zum Bewertungsstichtag keine Modernisierungen erfolgt seien. Alleine, dass es sich bei dem Gebäude um einen Altbau mit nicht mehr zeitgemäßen Ausstattungsstandard handele, reiche aber nicht aus, um von der gesetzlichen Typisierung der Nutzungsdauer abzuweichen. Das Gutachten enthalte keine Hinweise darauf, dass die Gebäude nach Ablauf der errechneten Restnutzungsdauer nicht mehr ihrer Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden könnten.
Das Urteil des Finanzgerichts Köln
Das Gericht hat entschieden, dass die Anschaffungskosten abweichend von der gesetzlich typisierten Nutzungsdauer von 50 Jahren auf 19 Jahre abzuschreiben sind.
In seiner Urteilsbegründung weist der Senat darauf hin, dass die zu schätzende Nutzungsdauer durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie die rechtlichen Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer begrenzen können, bestimmt wird. Es sei stets von der technischen Nutzungsdauer auszugehen. Sofern die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische ist, kann sich der Steuerpflichtige jedoch hierauf berufen.
Ob für die Absetzung durch Abnutzung (AfA) die gesetzlich vorgesehene, typisierte Nutzungsdauer oder eine tatsächlich kürzere Restnutzungsdauer zugrunde gelegt werden kann, muss immer nach den Verhältnissen des Einzelfalls entschieden werden (BFH-Urteil vom 04.03.2008, Az. IX R 16/07).
Jeder Steuerpflichtige hat ein Wahlrecht, ob er sich mit er typisierten Nutzungsdauer zufrieden gibt oder eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer nachweist. Will er eine kürzere Nutzungsdauer nachweisen, kann er sich hierfür jeder geeigneten Darlegungsmethode bedienen. Geeignet ist eine Methode dann, wenn sie Aufschluss über die maßgeblichen Determinanten (z. B. technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen) gibt, die die Nutzungsdauer beeinflussen.
Finanzamt muss Schätzung des Steuerpflichtigen akzeptieren
Das Finanzamt muss bei seiner Entscheidung von der Schätzung des Steuerpflichtigen ausgehen, solange dieser Erwägungen zugrunde liegen, wie sie ein vernünftig wirtschaftender Steuerpflichtiger üblicherweise anstellt. Der Bundesfinanzhof hat ferner zu verstehen gegeben, dass eine Schätzung durch den Steuerpflichtigen nur dann zu verwerfen ist, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzrahmens liegt.
Das liegt daran, dass eine Schätzung nie Gewissheit über die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer bietet und von den Finanzbehörden daher allenfalls größtmögliche Wahrscheinlichkeit verlangt werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 28.09.1971, Az. VIII R 73/68). Daher ist ein Bausubstanzgutachten keine Voraussetzung, damit das Finanzamt eine kürzere Restnutzungsdauer anerkennt.
Gericht: Überzeugende Schätzung durch Gutachter
Der Senat des Kölner Finanzgerichts folgt den Ausführungen des vom Gericht bestellten Gutachters, der unter Berücksichtigung aller technischen und wirtschaftlichen Umstände die Nutzungsdauer im Zeitpunkt der Anschaffung der streitgegenständlichen Gebäudehälfte auf 19 Jahre schätzt. Das von ihm verwendete Modell der Sachwertrichtlinie hat eine überzeugende Schätzung der Nutzungsdauer ermöglicht.
Die anderen erbrachten Gutachten hält der Senat für nicht verwertbar, da sie zu kurz greifen, Fehler enthalten oder sich nicht auf den Zeitpunkt des Erwerbs der Immobilie beziehen.
Zwar ist auch das vom gerichtlich bestellten Gutachten angewandte Verfahren zur Ermittlung der verbleibenden Nutzungsdauer und Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer nicht primär auf diesen Zweck ausgerichtet. Allerdings hat schon der Bundesfinanzhof entschieden, dass bei der auch im Streitfall angewendeten Methode dem Umstand, dass die vom Gutachter angewandte Ermittlungsmethode lediglich eine modellhafte wirtschaftliche Restnutzungsdauer zugrunde legt, keiner entscheidenden Bedeutung beizumessen ist. Denn es ist nicht ersichtlich, dass damit der nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG angemessene Schätzungsrahmen verlassen wurde.
Kürzere Nutzungsdauer: größtmögliche Wahrscheinlichkeit genügt
Im Rahmen der erforderlichen Schätzung geht es letztlich nur darum nachzuweisen, dass die von Gesetzes wegen anzunehmende typische Nutzungsdauer im Einzelfall unzutreffend und eine kürzere Nutzungsdauer mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist (BFH-Urteil vom 28.07.2021, Az. IX R 25/19).
Davon ausgehend weist das Gericht den Einwand der Beklagten zurück, dass der Begriff der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer nicht mit dem Begriff der tatsächlichen Nutzungsdauer gleichzusetzen sei. Es stimmt zwar, dass die Ermittlung der Restnutzungsdauer im Rahmen der Verkehrswertermittlung ein lediglich notwendiger Zwischenschritt zur Feststellung des Gebäudewerts ist, im Rahmen des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG hingegen den Hauptzweck darstellt. Hieraus vermag der Senat aber keinen Unterschied zwischen der (Rest-)Nutzungsdauer im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG und der Restnutzungsdauer im Sinne des § 6 Abs. 6 ImmoWertV zu konstruieren (Urteil des FG Köln vom 30.6.2016, Az. 11 K 3657/14).
Vielmehr ist der Begriff der (verbleibenden) Nutzungsdauer, somit der Restnutzungsdauer, trotz Notwendigkeit der Schätzung in beiden Zusammenhängen keine – ggf. abweichend zu ermittelnde – Fiktion. Vielmehr ist beide Male die Frage zu beantworten, wie viele Jahre das Gebäude im bestehenden Zustand voraussichtlich noch wirtschaftliche Verwendung finden kann. Dies ist bei der Frage nach dem Verkehrswert ebenso von entscheidender Bedeutung wie bei der Frage nach der sachgerechten Aufwandsverteilung.
Da im Rahmen des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG eben nicht nur auf die verbleibende technische Nutzungsdauer abzustellen ist, sondern sich der Steuerpflichtige ebenso auf eine kürzere wirtschaftliche Nutzungsdauer berufen kann, ist nicht nachvollziehbar, inwiefern es eine von der wirtschaftlichen Nutzungsdauer „unter Verkehrswertgesichtspunkten“ abweichende wirtschaftliche Nutzungsdauer „unter einkommensteuerlichen Gesichtspunkten“ geben könnte und wie diese zu bestimmen sein sollte. Da § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG dem Steuerpflichtigen grundsätzlich die Möglichkeit der Erbringung des Nachweises einer kürzeren Nutzungsdauer eröffnet, muss dieser Nachweis nach Auffassung des Senats jedenfalls unter Anwendung einer gutachterlich anerkannten Methodik zu erbringen sein.
Jede Schätzung der Nutzungsdauer beinhaltet Ungewissheit
Das Gericht weist darauf hin, dass die in den verschiedenen Gutachten festgestellten Werte der Immobilie und die ausweislich der Steuererklärungen bis heute mit dem Objekt erzielte deutlich positiven Rendite nicht dafür sprechen, dass der Schätzungsrahmen verlassen wurde. Denn zum einen haftet naturgemäß jeder Schätzung eine Ungewissheit an. Zum anderen ist die vom Gutachter ermittelte gewichtete Restnutzungsdauer des Objektes auch heute noch nicht abgelaufen. Schließlich ist es für die Berücksichtigung einer 50 Jahre unterschreitenden Nutzungsdauer – anders als der Beklagte meint – auch keinesfalls Voraussetzung, dass der technische Verschleiß einzelner Bauteile nachgewiesen wird.
Zudem hat der Beklagte die Berechnungen des Gutachters als methodisch sachgerecht und zutreffend bezeichnet. Aus welchen Gründen das vorliegende Sachverständigengutachten zu beanstanden sei, sei nicht offensichtlich.
Fazit: Abschreibung auf Basis von 19 Jahren Restnutzungsdauer
Das Finanzamt muss die Abschreibung auf Basis der vom Gutachter ermittelten Restnutzungsdauer von 19 Jahren berechnen. Die Klägerin kann dadurch satte 31 Jahre schneller abschreiben als durch die vom Finanzamt festgesetzte typisierte Nutzungsdauer. Daraus ergibt sich eine bedeutend höhere Abschreibungssumme pro Jahr und eine höhere Immobilienrendite.
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