Eine GmbH hat ihre jährliche Abschreibung für eine Wohnanlage mit einem Nutzungsdauer-Gutachten von zwei auf vier Prozent verdoppelt. Als das Finanzamt die Höhe der Abschreibung anzweifelte, reichte die Gesellschaft Klage ein und erhielt vor dem Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern in allen Punkten Recht.
Das Wichtigste in Kürze:
- Die Eigentümerin einer Wohnanlage in DDR-Plattenbauweise hat mit einem Gutachten eine deutlich kürzere Nutzungsdauer von nur 25 statt 50 Jahren nachgewiesen. Dadurch verdoppelte sich die jährliche Abschreibung von 2 auf 4 %.
- Das Finanzamt bezweifelte die Rechtmäßigkeit der kürzeren Nutzungsdauer und höheren Abschreibung. Es änderte die Bescheide nach einer Betriebsprüfung ab. Die GmbH widersprach und reichte später Klage ein.
- Das Finanzgericht folgte den Ausführungen des Gutachters, der die drei Determinanten technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung und rechtliche Nutzungsbeschränkung miteinander kombinierte und zu einer verkürzten Nutzungsdauer von schließlich 28 Jahren kam.
- Das Urteil (Az.: 2 K 290/17) nimmt erstmals auch Bezug auf das BMF-Schreiben vom 22.02.2023 und macht deutlich, dass dieses im Widerspruch zur Wahlfreiheit bei der Darlegungsmethode zum Nachweis einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer steht.
Ausgangslage: 4 % jährliche Gebäudeabschreibung
Geklagt hat eine immobilienverwaltende Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Die GmbH hat 2006 eine elfgeschossige Wohnanlage in Plattenbauweise erworben, wie sie in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) üblich war. Die Wohnanlage stammt aus dem Baujahr 1980. In den folgenden Jahren wurden einige Teilsanierungen durchgeführt:
- 1991: Einbau von Thermostatventilen/-verteilern
- 1992: Einbau neuer Haustüren
- 1995: Einbau neuer Aufzüge
- 1997: Brandschutzmaßnahmen
- 1998: Malerarbeiten im Treppenhaus
- 2000: Strangsanierung (Erneuerung der Kalt-, Warm- und Zirkulationswasserleitungen, Teilelektro, Sanitärbereiche)
- 2003: Dacheindeckung des Norddachs, teilweise Erneuerung der Fenster
- 2011: Sanierung der Fassade und Erneuerung der restlichen Fenster
Am Stichtag 30.11.2006 waren von den insgesamt 327 Wohneinheiten 210 vermietet. Hinzu kommen zwei vermietete Gewerbeeinheiten.
Gutachten ermittelt 25 Jahre Nutzungsdauer
Die Klägerin hat beim TÜV ein „Gutachten zur Ermittlung des Beleihungswertes und des Marktwertes“ in Auftrag gegeben. Das TÜV-Gutachten kommt nach Zugrundelegung des vorgefundenen Bauzustands zu dem Ergebnis, dass die Restnutzungsdauer der Wohnanlage 14 Jahre beträgt. Würde das Gebäude umgebaut und modernisiert werden, könnte die Restnutzungsdauer auf 30 Jahre erhöht werden.
Auf Basis dieser beiden Werte zur Nutzungsdauer ermittelte die Klägerin eine gegenwärtige tatsächliche Nutzungsdauer von 25 Jahren. Entsprechend berücksichtigte die Klägerin eine Gebäudeabschreibung in Höhe von vier Prozent pro Jahr – und nicht von zwei Prozent jährlich, wie es bei der typisierten Nutzungsdauer von 50 Jahren notwendig wäre.
Da sich die Anschaffungskosten der Immobilie auf 4.173.987,63 Euro belaufen, wurde von der Klägerin eine jährliche Abschreibung von 166.959,50 Euro geltend gemacht.
Beanstandung durch das Finanzamt
Im Rahmen einer von 2011 bis 2013 durchgeführten Betriebsprüfung, bei der die Jahre 2006 bis 2008 untersucht wurden, kam es zu einer Beanstandung der von der Klägerin angenommenen Restnutzungsdauer durch den Betriebsprüfer.
Dieser monierten, dass der TÜV bei der Ermittlung der Restnutzungsdauer von 30 Jahren für ein saniertes Objekt von einer ursprünglichen Gesamtnutzungsdauer von 40 Jahren bei Plattenbauten ausgegangen ist. Da der Betriebsprüfer während seiner Prüfung nicht klären konnte, auf welcher Basis diese ursprüngliche Nutzungsdauer beruhe, entschied er, dass die erhöhte Abschreibung unangemessen sei. Die Wohnanlage müsse mit dem typisierenden Abschreibungssatz von zwei Prozent gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b EStG abgeschrieben werden, da eine höhere Abschreibung gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht ausreichend nachgewiesen wurde.
Das zuständige Finanzamt Dresden Süd erließ auf Basis der Feststellungen des Prüfers geänderte Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer, über den Gewerbesteuermessbetrag und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes. Gegen diese Bescheide hat die klagende GmbH Einspruch eingelegt.
Begründung der Immobilieneigentümerin
Die Klägerin stützt sich in der Begründung des Einspruchs auf die baufachliche Stellungnahme des Gutachters, der im Zeitpunkt des Erwerbs von einer wirtschaftlichen Nutzungsdauer von 28 Jahren ausging. Nach der Fassadensanierung und Aufbringung des Wärmeverbundsystems (ca. 2014) betrug die Nutzungsdauer 34 Jahren im Hauptteil der Immobilie. Abweichend vom Hauptteil der Wohnanlage weist der Nebenteil 1 lediglich eine Restnutzungsdauer von 25 Jahren zum Zeitpunkt des Erwerbs auf.
Begründung des Finanzamts
Das durch eine zwischenzeitliche Verlegung des Unternehmenssitzes nunmehr zuständige Finanzamt Rostock hat als Folge des Einspruchs eine baufachliche Stellungnahme ihrer Bausachverständigen angefordert. Diese kamen zu dem Entschluss, dass das Gutachten des von der Klägerin beauftragten Sachverständigen nicht den Nachweis einer verkürzten Nutzungsdauer erbringe.
Konkret wurde bemängelt, dass das Sachverständigengutachten lediglich allgemeine Aussagen zum Plattenbau enthalte, allerdings nicht zu den Verschleißelementen des Gebäudes. Es wurde kein Nachweis für einen Verschleiß der Rohbauelemente noch der Unrentabilität des Gebäudes nach Beseitigung des vorliegenden Unterhaltungsstaus erbracht.
Entsprechend dem Gutachterergebnis wurde der Einspruch der Klägerin durch die nunmehr zuständige Beklagte als unbegründet zurückgewiesen. Der Klägerin sei es mit der eingereichten gutachterlichen Stellungnahme nicht gelungen, eine von der gesetzlichen Typisierung abweichende kürzere tatsächliche Nutzungsdauer nachzuweisen bzw. glaubhaft zu machen.
Das Finanzamt Rostock begründet die Zurückweisung unter anderem mit folgenden Punkten:
- Die wirtschaftliche Nutzungsdauer sei nicht identisch mit der Nutzungsdauer nach der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) bzw. der Sachwertrichtlinie, die den Ermittlungen des Sachverständigen der Klägerin zugrunde liegen würden. Insofern reiche der Hinweis auf die diese nicht aus, um eine kürzere Nutzungsdauer zu begründen.
- Es seien lediglich behebbare Bauschäden und Baumängel aufgeführt worden, welche im Wesentlichen mit dem veralteten Standard begründet würden. Ein materieller Verschleiß, die eine übliche Gebrauchsdauer ausschlössen, werde nicht dargelegt.
- Die Ausführungen hinsichtlich der nicht konstruktiven Gebäudebestandteile (= Verschleißelemente) mit dem Hinweis auf den nicht der heutigen Zeit entsprechenden Standard reichten nicht aus.
- Die gutachterliche Stellungnahme legt dar, dass ein einfacher bzw. mittlerer Ausbaustandard, ein weitgehend durchschnittliches bzw. unterdurchschnittliches Raumkonzept bzw. eine weitgehend durchschnittliche bzw. unterdurchschnittliche energetische Situation, eine ungenügende Barrierefreiheit, eine mittlere Lagesituation, eine schlechte Marktsituation und ein schlechtes Objektrating vorliegen sollten. All das würde weder eine Substanzeinbuße noch eine Verminderung der wirtschaftlichen Nutz- bzw. Vermietbarkeit oder Verwertungsmöglichkeit des Gebäudes rechtfertigen.
Klage der Immobilieneigentümerin
Die GmbH als Immobilieneigentümerin hat 2017 Klage gegen die Ablehnung des Einspruchs durch das Finanzamt eingereicht. Die Klage wird unter anderem mit folgenden Punkten begründet:
- Die Immobilie wies schon im ersten Streitjahr ein Alter von 27 Jahren auf.
- Bisher wurden an der Immobilie lediglich typische Ausbaumodernisierungen vorgenommen, die nur zu einer geringfügigen Verlängerung der Nutzungsdauer geführt haben.
- Der Nachweis der niedrigeren Nutzungsdauer umfasse die technische, die wirtschaftliche und die rechtliche Nutzungsdauer. Maßgebend für die Abschreibung sei die kürzeste Zeitspanne dieser Nutzungsdauerarten.
- Bereits aus der Kaufpreisaufteilung der Klägerin, welche auf Grundlage des TÜV-Gutachtens vorgenommen wurde, ergebe sich eine angemessene Nutzungsdauer für Finanzierungszwecke. Diese haben die Finanzverwaltung als Bemessungsgrundlage für die Absetzung durch Abnutzung (AfA) akzeptiert und daher das Gutachten für diese Zwecke als ausreichend glaubhaft angesehen.
- Auf die in der Zukunft liegende Modernisierungen komme es nicht an. Entscheidend sei allein eine aus der Sicht des Streitjahres zu treffende Prognose. Zukünftige Modernisierungen dürften nicht zu einer Verlängerung der Restnutzungsdauer führen. Erst zu dem späteren Zeitpunkt der Realisierung dieser Arbeiten würden die dann entstehenden Kosten zu berücksichtigen sein.
- In Bezug auf die typischen Problemumstände der Plattenbauten sei zu berücksichtigen, dass diese als technisch fragwürdig eingestuft werden müssten. Dies ergebe sich aus unzureichenden Herstellungsmethoden sowohl bei der Plattenproduktion als auch bei der Verarbeitung in der DDR.
- Das Gebäude unterliege angesichts seiner Lage einer erhöhten Korrosionsanfälligkeit in Bezug auf die Stahlteile im Stahlbeton und hinsichtlich der Fenster einer überdurchschnittlichen Windbelastung (höchste Kategorie Windlastzone in Deutschland).
Bereits aus der Kaufpreisaufteilung der Klägerin, welche auf der Grundlage des TÜV-Gutachtens vorgenommen worden sei, ergebe sich eine angemessene Nutzungsdauer für Finanzierungszwecke. Dies sei von der Finanzverwaltung für Zwecke der Bestimmung der AfA-Bemessungsgrundlage akzeptiert worden. Der Beklagte habe daher für diese Zwecke die sachverständig festgelegte Nutzungsdauer als ausreichend glaubhaft gemacht angesehen.
Klageerwiderung des Finanzamts
Die beklagte Finanzverwaltung hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es sei der Klägerin mit dem vorgelegten Gutachten nicht gelungen, den Nachweis dafür zu erbringen, dass das Gebäude ab dem Zeitpunkt der Anschaffung nur noch eine Restnutzungsdauer von 28 Jahren gehabt habe.
Dabei wird vor allem auf die gutachterliche Stellungnahme verwiesen, die keine Umstände benenne, die darauf schließen lassen könnten, dass das Gebäude nach 28 Jahren objektiv verbraucht sei.
Dass das Finanzamt der Kaufpreisaufteilung der Klägerin (11 % für Grund und Bode, 98 % für das Gebäude) gefolgt ist, heiße nicht, dass es das TÜV-Gutachten in irgendeiner Weise für die festgelegte Nutzungsdauer anerkannt habe. Vielmehr sei dem Beklagten nicht bekannt gewesen, dass das Gutachten auch zur Kaufpreisaufteilung genutzt wurde.
Auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des BFH (Az.: IX R 25/19) habe die Klägerin den Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer nicht führen können. Der gutachterlichen Stellungnahme des Sachverständigen seien keine Rückschlüsse auf die maßgeblichen Determinanten (technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkung) zu entnehmen.
Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern
Das Finanzgericht hat am 29. Juni 2023 geurteilt, dass das Finanzamt bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nicht die typisierte Nutzungsdauer, sondern die von der Klägerin erklärte kürzere tatsächliche Nutzungsdauer hätte berücksichtigen müssen (Az.: 2 K 290/17).
In der Urteilsbegründung werden einleitend diverse Urteile des Bundesfinanzhofs aufgeführt, die das Vorgehen der Klägerin stützen. So weist das Gericht beispielsweise noch einmal darauf hin, dass sich Steuerpflichtige jeder Darlegungsmethode bedienen können, um im Einzelfall einen Nachweis zur kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer zu führen.
Anders als das Finanzamt geht das Gericht nicht davon aus, dass entweder der technische Verschleiß oder die wirtschaftliche Entwertung betrachtet werden dürfen. Stattdessen wird auf ein BFH-Urteil verwiesen, wonach alle drei Determinanten je nach Vorhandensein im jeweiligen Einzelfall in die Ermittlung der Nutzungsdauer einbezogen werden können. Damit folgt das Gericht der Auffassung des im Verfahren als Zeugen vernommenen Sachverständigen, nach der eine Mischung aller Komponenten zulässig ist.
Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist es der Klägerin nach Auffassung des Senats gelungen, auf der Grundlage des von ihr vorgelegten Sachverständigengutachtens eine von der gesetzlichen Typisierung abweichende verkürzte tatsächliche Nutzungsdauer des Gebäudes darzulegen und nachzuweisen.
Die geschätzte Restnutzungsdauer von 28 Jahren bewegt sich noch im zulässigen Schätzungsrahmen. Die von der Beklagten gerügten Ungereimtheiten im Gutachten wurden vom Gericht als nicht signifikant eingestuft.
Das Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern ist eins der ersten, welches das BMF-Schreiben vom 22.02.2023 explizit erwähnt. Es macht noch einmal deutlich, dass die darin vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) geforderte Nachweismethode im Widerspruch zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs steht, nach der der Steuerpflichtige sich jeder Darlegungsmethode bedienen kann, die im Einzelfall zur Führung des Nachweises geeignet erscheint.
Fazit: Alle Faktoren dürfen bei Bestimmung der Restnutzungsdauer gutachterlich berücksichtigt werden
Wieder einmal hat ein deutsches Finanzgericht betont, dass Finanzämter die Wahlfreiheit bei der Darlegung einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer von Immobilien nicht einschränken dürfen – auch nicht auf Basis des BMF-Schreibens vom Februar 2023.
Speziell in diesem Urteil wird durch das Gericht darauf hingewiesen, dass es mit dem technischen Verschleiß, der wirtschaftlichen Entwertung und der rechtlichen Nutzungsbeschränkung – entgegen der Auffassung vieler Finanzämter – alle Determinanten in die Schätzung der Nutzungsdauer einbezogen werden können.
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