Vermieter haben das Recht, zur Berechnung der Absetzung für Abnutzung (AfA) eine kürzere Nutzungsdauer nachzuweisen, als es die typisierten AfA-Zeiträume von 50 bzw. 40 Jahren vorsehen. Ähnlich wie bei anderen Steuerthemen führt auch der Nachweis einer kürzeren Restnutzungsdauer gelegentlich zu Streitigkeiten zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt.
Die in 2022 angedachte Abschaffung der verkürzten Nutzungsdauer durch eine Gesetzesänderung kam u. a. auf Grund verfassungsrechtlicher Bedenken nicht zustande. Die deutschen Finanzgerichte haben Vermieter in ihrem Recht zum Nachweis einer kürzeren Restnutzungsdauer immer wieder den Rücken gestärkt. Ein Überblick über die wichtigsten Urteile zur AfA und Nutzungsdauer von Gebäuden.
Die steuerliche Behandlung der Nutzungsdauer war lange Zeit ein strittiges Thema – auch und vor allem bei Immobilien. Dabei hat der Bundesfinanzhof mit Sitz in München bereits 1971 – und damit nur wenige Jahre nach der gesetzlichen Neuregelung der Absetzungen für Abnutzung von Gebäuden im Jahr 1964 – geurteilt, dass eine kürzere Nutzungsdauer vom Finanzamt im Rahmen seiner umfassenden Sachaufklärungspflicht (§ 204 AO) geprüft werden muss.
Mittlerweile können Vermieter aufatmen. Denn der Umgang mit dem Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer von Gebäuden ist inzwischen höchstrichterlich entschieden. Und zwar zugunsten der Vermieter, denen nicht nur die Wahlfreiheit hinsichtlich der typisierten oder verkürzten Nutzungsdauer zugestanden wird. Auch bei der Methodik zum Nachweis einer kürzeren Restnutzungsdauer, aus der sich ein höherer AfA-Satz ergibt, darf es keine Einschränkungen durch die Finanzbehörden geben.
Die Richter rügten damit das jahrelang sehr restriktive Vorgehen der Finanzämter. Diese lehnten eine verkürzte Restnutzungsdauer auf Basis der kürzeren wirtschaftlichen Restnutzungsdauer meist ab. Stattdessen forderten sie einen Nachweis über eine kürzere technische Restnutzungsdauer. Dabei verlangten die Finanzbehörden in der Regel aufwendige und teure Bausubstanzgutachten oder statische Berechnungen, die beispielsweise eine Einsturzgefahr belegen.
Der Bundesfinanzhof fällte am 4. März 2008 ein wichtiges Urteil und stellte klar: „Wenn ein Wirtschaftsgut vor Ablauf der technischen Nutzungsdauer objektiv wirtschaftlich verbraucht ist, kann eine kürzere Nutzungsdauer der AfA zu Grunde gelegt werden.“
Nachdem das oberste deutsche Finanzgericht mit seinem AfA-Urteil festgestellt hat, dass auch der wirtschaftliche Verbrauch Grund für eine kürzere Restnutzungsdauer sein kann, verlagerten sich die Streitigkeiten vor allem auf darauf, wie der wirtschaftliche Verbrauch objektiv nachgewiesen werden kann.
Dazu fällte der Bundesfinanzhof 2021 das bisher wichtigste Urteil für Vermieter, die für ihre Immobilie eine höhere AfA durch eine kürzere Nutzungsdauer nachweisen wollen. Die Richter entschieden, dass sich der Steuerpflichtige jeder geeigneten Darlegungsmethode bedienen darf, um den geforderten Nachweis zu erbringen (siehe unten). Der Rechtsprechung des BFH schlossen sich bisher alle Finanzgerichte an.
Basierend auf der eindeutigen Rechtsprechung machten immer mehr Vermieter von ihrem in § 7 Absatz 4 Satz 2 EStG geregelten Recht Gebrauch, eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer für vermietete Gebäude nachzuweisen und so den jährlichen AfA-Satz zu optimieren. Um den Verlust von Steuereinnahmen zu stoppen, wollte das Finanzministerium den genannten Passus im Gesetz streichen und den Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer damit abschaffen.
In der Anhörung des Finanzausschusses sprachen sich diverse Finanzexperten gegen die Abschaffung der verkürzten Restnutzungsdauer aus. So macht beispielsweise die Stellungnahme der Bundessteuerberaterkammer deutlich, dass weder das Argument der „unkontrollierten Steuermindereinnahmen“ noch die Verbesserung der Rechtslage sowie die Minderung des Bürokratieaufwands nachvollziehbar sind.
Im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens hat sich die Bundesregierung Ende 2022 schließlich darauf verständigt, die erhöhte Abschreibung durch das Nutzungsdauer-Gutachten beizubehalten. Das Jahressteuergesetz 2022 wurde ohne die sehr umstrittene Abschaffung des § 7 Absatz 4 Satz 2 EStG verabschiedet. Damit wurde ein zentraler Aspekt der Steuergerechtigkeit im Rahmen der Absetzung für Abnutzung (AfA) beibehalten.
Im Folgenden sind die wichtigsten AfA-Urteile deutscher Gerichte in chronologischer Reihenfolge aufgelistet und kurz erläutert. Die Übersicht wird ständig aktualisiert, sobald es neue, relevante Urteile zur Abschreibung und Nutzungsdauer von Immobilien gibt.
BFH-Urteil vom 23. Januar 2024, Az. IX R 14/23
Nachdem eine Frau von ihrem Lebensgefährten ein im Erbvertrag geregeltes, lebenslanges Nießbrauchsrecht an einem vermieteten Grundstück erhielt, ging diese zunächst von einer Restnutzungsdauer von sechs Jahren aus. Das Grundstück ist mit einem 1970 erbauten Bürogebäude mit Betriebswohnungen sowie mit Lagerhallen bebaut.
Das Finanzamt änderte den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2014 und setzte die Absetzung für Abnutzung (AfA) lediglich in Höhe des typisierten festen Satzes von zwei Prozent pro Jahr (50 Jahre Nutzungsdauer) an. Der Einspruch der Steuerpflichtigen wurde zurückgewiesen.
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin weiterhin, AfA nach Maßgabe einer tatsächlich kürzeren – 50 Jahre unterschreitenden – Nutzungsdauer der Gebäude gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG abzuziehen.
Das Finanzgericht (FG) erhob hierzu Beweis und holte das Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Wertermittlung von bebauten und unbebauten Grundstücken ein. Der Sachverständige ermittelte in seinem Gutachten vom 14. Juli 2020 nach Maßgabe der Immobilienwertermittlungsverordnung und des Punkterasters der Anlage 4 der Sachwertrichtlinie eine gewichtete tatsächliche Restnutzungsdauer von 19 Jahren.
Im Klageverfahren vor dem Finanzgericht machte die Klägerin neben der verkürzten Nutzungsdauer eine erhöhte Bemessungsgrundlage für die Abschreibung geltend. Mit dem Erwerb des hälftigen Miteigentums sei insoweit ihr Nießbrauchsrecht untergegangen. Der Wert dieses Rechtsverlusts sei Bestandteil ihrer Anschaffungskosten gewesen.
Das Finanzgericht folgte der Klägerin in beiden Punkten – bei der vom Sachverständigen bescheinigten Restnutzungsdauer von 19 Jahren sowie bei der Zurechnung des Nießbrauchs auf die Anschaffungskosten.
Das Finanzamt sah das Gutachten als nicht geeignet an, um eine kürzere Restnutzungsdauer nachzuweisen. Vor allem deshalb, weil sich daraus die maßgeblichen Determinanten nicht ableiten ließen. Die Addition des kapitalisierten Werts des Nießbrauchs auf die Anschaffungskosten sah die Behörde zudem als Verstoß gegen Bundesrecht an. Das Finanzamt beantragte beim Bundesfinanzhof (BFH) die Revision.
Der BFH sah keinen Grund darin, die vom öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen nachvollziehbar dargelegte Restnutzungsdauer von 19 Jahren revisionsrechtlich zu beanstanden.
Hinsichtlich der Zurechnung des kapitalisierten Werts des Nießbrauchsrechts zu den Anschaffungskosten stellte der BFH jedoch einen Verstoß gegen Bundesrecht fest. Die Revision ist in diesem Punkt begründet. Das Urteil wurde aufgehoben und zur Neuverhandlung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 16.08.2023, Az.: 2 K 2449/18 E
In einem Verfahren vor dem Finanzgericht Düsseldorf ging es eigentlich primär um die Kaufpreisaufteilung. Geklagt hat ein steuerlich gemeinsam veranlagtes Ehepaar, das Eigentümer eines Mehrfamilienhauses ist.
Das Ehepaar hat sich zwecks Kaufpreisaufteilung zunächst am Bodenrichtwert orientiert und diesen ins Verhältnis zum Kaufpreis gesetzt. Während des Einspruchsverfahrens gaben die Kläger beim Gutachterausschuss für Grundstückswerte ein Gutachten über den Verkehrswert in Auftrag. In dem Verfahren vor dem Finanzgericht Düsseldorf holte der Senat als Beweismittel ein weiteres Gutachten von einer öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen ein.
Alle drei Berechnungen führten letztlich mit nur minimalen Abweichungen zu einer Kaufpreisaufteilung, bei der rund 30 Prozent auf das Grundstück und rund 70 Prozent auf das Gebäude entfielen. Die Gutachterin kam in ihrer Berechnung zuletzt auf Werte von 30,01 Prozent (Gebäude) und 69,99 Prozent (Grundstück).
Die Abweichung von der typisierten Nutzungsdauer von 50 Jahren war eher ein Nebenaspekt des Gutachtens. Die Sachverständige stellte bei ihrer Beurteilung des Gebäudes eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer von 45 Jahren fest. Dadurch erhöhte sich der AfA-Satz von 2,0 auf 2,22 Prozent pro Jahr und die Kläger konnten sich ganz nebenbei über einen höheren jährlichen Abschreibungsbetrag freuen.
Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 29.06.2023, Az.: 2 K 290/17
Mit dem Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern hat das erste deutsche Gericht Bezug auf das BMF-Schreiben vom 22. Februar 2023 genommen, mit dem der Versuch unternommen wird, den Nachweis der kürzeren Nutzungsdauer zu regeln.
In dem konkreten Fall ging es um einen Wohnkomplex in Plattenbauweise, der mehr als 300 Wohneinheiten umfasst. Die Klägerin reichte beim beklagten Finanzamt ein TÜV-Gutachten ein, wonach sich die Restnutzungsdauer des Baus auf 25 Jahre belaufen würde. Demnach wurde von der Klägerin ein AfA-Satz von vier Prozent pro Jahr gewählt. Das Finanzamt bestand darauf, dass die Wohnanlage nach dem typisierten AfA-Satz von 50 Jahren abgeschrieben werden müsse. Es forderte eine baufachliche Stellungnahme der eigenen Bausachverständigen an, die zum gleichen Ergebnis kamen.
Die Immobilieneigentümerin reichte Einspruch und später Klage ein. Sie begründete beides auf Basis einer baufachlichen Stellungnahme des Gutachters, die im Zeitpunkt des Erwerbs von einer wirtschaftlichen Nutzungsdauer von 28 Jahren ausging.
Im Klageverfahren kam das Finanzgericht zu dem Ergebnis, dass sich die Schätzung des Gutachters, der von der Klägerin beauftragt wurde, mit 28 Jahren im zulässigen Schätzungsrahmen bewege. Sofern der Schätzungsrahmen nicht verlassen wird, muss das Finanzamt den Nachweis als mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit geführt akzeptieren.
Die Richter verweisen auf die freie Wahl der Darlegungsmethode gemäß dem Urteil des Bundesfinanzhofs aus dem Jahr 2012 (siehe oben). Die im BMF-Schreiben vom 22. Februar 2023 geforderte Nachweismethode stehe damit im Widerspruch zur höchstrichterlichen Entscheidung des BFH. Stattdessen sei die in diesem konkreten Fall gewählte Nachweismethode als geeignet zu akzeptieren. Das Finanzamt muss die Abschreibung der Immobilie auf 28 Jahre festlegen.
Urteile des Finanzgerichts Münster vom 14. Februar 2023, Az. 1 K 3840/19 F und 1 K 3841/19 F
Das Finanzgericht in Münster hat mit zwei Urteilen deutlich gemacht, dass die Restnutzungsdauer für Mietobjekte nach der Immobilienwertverordnung (ImmoWertV) nachgewiesen werden kann, um eine kürzere und damit höhere Abschreibung der Anschaffungskosten geltend zu machen.
Geklagt hat eine vermögensverwaltende GmbH & Co. KG mit insgesamt 43 Gebäuden, die jeweils in den 1920er- und 1930er-Jahren gebaut wurden. Die Gesellschaft wollte für die Gebäude eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer nachweisen und hat dafür bei einer öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Verkehrswertgutachten in Auftrag gegeben und beim Finanzamt eingereicht.
Die Sachverständige berechnete die Restnutzungsdauer für die einzelnen Gebäude nach den Regelungen der ImmoWertV. Dabei wird das Alter von der Gesamtnutzungsdauer in Abzug gebracht. Um- und Ausbauarbeiten sowie Renovierungs- und Modernisierungsmaßnahmen wurden anhand der Anlage III zum Sachwertmodell der Vorsitzenden der Gutachterausschüsse in Nordrhein-Westfalen (AGVGA NRW) von der Gutachterin berücksichtigt. Aufgrund des Alters der Immobilien lagen die Restnutzungsdauern jeweils unter den typisierten 40 bzw. 50 Jahren.
Das zuständige Finanzamt lehnte eine kürzere Nutzungsdauer ab. Durch die Gutachten sei eine kürzere Nutzungsdauer weder durch technischen Verschleiß noch aus wirtschaftlichen Gründen glaubhaft nachgewiesen worden.
Gegen die Entscheidung des Finanzamtes hat die vermögensverwaltende Gesellschaft Klage eingereicht. Dabei berief sie sich vor allem auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 28. Juli 2021 (siehe oben), wonach jede Darlegungsmethode zulässig ist, einen angemessenen Schätzungsrahmen darzulegen.
Das Finanzgericht gab der Klägerin in beiden Klagen vollumfänglich recht. Es verwies auf das Wahlrecht, wonach jeder Steuerpflichtige entscheiden kann, ob er nach den typisierten AfA-Sätzen abschreibt oder eine kürzere Nutzungsdauer nachweist. Statt Gewissheit ist die größtmögliche Wahrscheinlichkeit entscheidend.
Das Finanzamt darf eine Schätzung, die durch den Steuerpflichtigen erfolgt ist, nur dann verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liege.
Das Verfahren nach ImmoWertV ist vollkommen zulässig. Der Senat des Finanzgerichts hatte an den eingereichten Gutachten nichts zu beanstanden. Stattdessen haben die Richter betont, dass die Gutachterin die Objekte besichtigt habe. Die Bauweise, der Unterhaltungszustand der Gebäude und die Ausstattung der Wohnungen wurden ausreichend untersucht und dargestellt. Zwischenzeitliche Modernisierungen, die die Nutzungsdauer verlängern, wurden berücksichtigt. Zudem hat die Sachverständige die vom jeweiligen örtlich zuständigen Gutachterausschuss zur Ableitung der Liegenschaftszinssätze zugrunde gelegte Gesamtnutzungsdauer angesetzt.
Urteil des Finanzgerichts Köln vom 20. Oktober 2022, Az. 6 K 1506/17
Geklagt hat die Eigentümerin eines vermieteten Bürogebäudes mit Wohnungen, Lagergebäuden und einer Halle. Nachdem sie die Nutzungsdauer zunächst selbst berechnete und später im Rahmen des Gerichtsverfahrens eins Ertragswert-Kurzberechnung der Handwerkskammer eingereicht hat, das eine Restnutzungsdauer von 15 Jahren bescheinigte, hat das Finanzgericht seinerseits ein Gutachten beauftragt.
Der vom Gericht beauftragte Sachverständige ermittelte eine gewichtete Restnutzungsdauer von 19 Jahren. Die Klägerin erkannte diesen Wert als zutreffend an. Die Richter des Finanzgerichts urteilten, dass abweichend von der gesetzlich typisierten Nutzungsdauer von 50 Jahren, auf die das Finanzamt bis zuletzt bestand, auf 19 Jahre abzuschreiben ist.
In der Urteilsbegründung heißt es, dass das Finanzamt bei seiner Entscheidung von der Schätzung des Steuerpflichtigen ausgehen muss, solange ihr vernünftige, nachvollziehbare Überlegungen zugrunde liegen und der Schätzungsrahmen nicht verlassen wird. Eine Schätzung bietet nie vollkommene Gewissheit. Mit der Ungewissheit über die konkrete Restnutzungsdauer muss das Finanzamt leben. Es kann allenfalls größtmögliche Wahrscheinlichkeit über die Restnutzungsdauer des Gebäudes verlangen.
Urteil des Finanzgerichts Köln vom 23. März 2022, Az. 6 K 923/20
Das Finanzgericht Köln hat im Streit um die Abschreibung für ein Mehrfamilienhaus deutlich gemacht, dass eine modellhaft ermittelte Restnutzungsdauer durch einen Gutachter ausreichend ist, um die Bemessungsgrundlage für den AfA-Satz zu begründen. In dem Streitfall hatte die angewandte Ermittlungsmethode, der lediglich eine modellhafte wirtschaftliche Restnutzungsdauer zugrunde lag, keine entscheidende Bedeutung.
Vielmehr hob das Gericht noch einmal hervor, dass ein Bausubstanzgutachten, insbesondere die Zustandsermittlung von Immobilien mit Hilfe des sogenannten ERAB-Verfahrens (Verfahren zur Ermittlung des Abnutzungsvorrats von Baustoffen), keine Voraussetzung zum Nachweis einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer sei.
Es ist nicht ersichtlich, dass das ERAB-Verfahren (auch) über die wirtschaftliche Entwertung oder etwaige rechtliche Nutzungsbeschränkungen, welche ebenfalls die erforderliche Schätzung der Nutzungsdauer beeinflussen können, Auskunft geben kann.
BFH-Urteil vom 28. Juli 2021, Az. IX R 25/19
Eines der sicherlich wichtigsten Urteile für Vermieter, die eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer für ihre Immobilie nachweisen wollen, ist das Urteil des Bundesfinanzhofs aus dem Jahr 2021.
Die Klägerin ist Eigentümerin einer zu Wohn- und Geschäftszwecken vermieteten Immobilie. In einem unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Feststellungsbescheid für 2009 und 2010 folgte das Finanzamt zunächst den Angaben der Klägerin. Weil sie es versäumte, die Feststellungserklärungen abzugeben, schätzte das Finanzamt die Bemessungsgrundlage für die Jahre 2011 bis 2013 und erließ ebenfalls Festsetzungsbescheide.
Die Klägerin legte gegen alle Bescheide von 2009 bis 2013 Einspruch ein. Im Zuge der Begründung reichte sie nicht nur die fehlenden Steuererklärungen ein, sondern auch ein Gutachten zur Bestimmung der Restnutzungsdauer der vermieteten Immobilie ein.
Auf Basis des Gutachtens begehrte die Klägerin nunmehr auf eine Absetzung für Abnutzung (AfA) in Höhe von 35.763 Euro statt 21.106 Euro pro Jahr. Dies lehnte das Finanzamt ab. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Gegen den abgelehnten Einspruch erhob die Klägerin Klage.
Im finanzgerichtlichen Verfahren hat das Finanzgericht ein weiteres Gutachten zur Bestimmung der Restnutzungsdauer von einem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen eingeholt. Dieser erachtete das „Modell zur Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer für Wohngebäude unter Berücksichtigung von Modernisierungen“ (Anlage 4 der Sachwertrichtlinie) als am geeignetsten.
Der Gutachter schätzte die technische Lebensdauer des Rohbaus mit 70 Jahren. Dabei wurden die zwischenzeitlich durchgeführten Modernisierungen ausdrücklich berücksichtigt. Vor Ort festgestellte Baumängel und Bauschäden waren zwar teilweise substanzieller Natur, hatten jedoch keinen maßgeblichen Einfluss auf die zu ermittelnde Nutzungsdauer. Im Ergebnis kam der Sachverständige auf eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer von 34 Jahren für Gebäude 1 und 32 Jahren für Gebäude 2.
Das Finanzgericht folgte den Entscheidungen des in der Verhandlung als Zeugen gehörten Gutachters. Der vom Finanzamt geführte Einwand, das vom Gutachter genutzte Verfahren würde der Verkehrswertermittlung dienen und sei daher für den Nachweis einer kürzeren Restnutzungsdauer ungeeignet, verwarf das Finanzgericht. Ein rechtlich bedeutender Unterschied zwischen der (Rest-)Nutzungsdauer i. S. des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG und der Restnutzungsdauer i. S. des § 6 Abs. 6 ImmoWertV bestehe laut Finanzgericht nicht.
Das Finanzgericht entschied: Da § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG dem Steuerpflichtigen grundsätzlich die Möglichkeit eröffne, eine kürzere Restnutzungsdauer nachzuweisen, müsse der Nachweis dafür jedenfalls unter Anwendung einer gutachterlich anerkannten Methodik erbracht werden dürfen; insbesondere sei das vom Finanzamt geforderte „Bausubstanzgutachten“ kein sachgerechteres Verfahren für die Ermittlung der Nutzungsdauer eines Gebäudes i.S. des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG.
Das Finanzamt reichte Revision gegen das Urteil ein und beantragte seine Aufhebung. Die Klägerin beantragte die Zurückweisung der Revision.
Für die Annahme einer kürzeren technischen Nutzungsdauer genüge es laut dem Finanzamt nicht, dass lediglich einzelne unselbständige Teile des Gebäudes zur Erneuerung oder Ersetzung anstünden. Erforderlich sei vielmehr, dass durch technischen Verschleiß der tragenden Teile, d. h. insbesondere des Rohbaus, das Gebäude in seiner Gesamtheit in seiner Nutzungsfähigkeit beeinträchtigt sei. Ein nicht zeitgemäßer Wohnstandard reiche indes für die Annahme einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer nicht aus. Auch bloße subjektive Einschätzungen einer möglichen weiteren Entwicklung in Bezug auf die Vermietbarkeit rechtfertigten keinen Ansatz einer von der Regeltypisierung abweichenden Nutzungsdauer.
Das Gutachten des Sachverständigen enthielt keine Ausführungen zur Substanz des Rohbaus bzw. zum technischen Verschleiß der tragenden Teile, sondern erschöpften sich in einem auf Ausstattungsstandard, Modernisierungsgrad und Gebäudealter basierenden typisierten Punkteraster; ein Rückschluss auf eine verkürzte technische Nutzungsdauer sei daher nicht möglich.
Die Richter des Bundesfinanzhofs haben die Revision als unbegründet zurückgewiesen und sehen keinen Grund zur Beanstandung des Urteils des Finanzgerichts.
Die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer, selbst wenn ein solches Gutachten möglicherweise den technischen „Verschleiß“ eines Gebäudes im Einzelfall nachvollziehen könnte.
Wählt der Steuerpflichtige oder ein von diesem oder von dem Finanzgericht beauftragter Sachverständiger daher aus nachvollziehbaren Gründen eine andere Nachweismethode, kann diese Grundlage für die im Einzelfall erforderliche Schätzung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer sein, soweit aus der gewählten Methode Rückschlüsse auf die zu ermittelnden Determinanten möglich sind.
Da im Rahmen der Schätzung nur die größtmögliche Wahrscheinlichkeit über eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer verlangt werden kann, würde eine Verengung der Gutachtenmethodik oder eine Festlegung auf ein bestimmtes Ermittlungsverfahren die Anforderungen an die Feststellungslast überspannen.
BFH-Urteil vom 29. Mai 2018, Az. IX R 33/16
Der Bundesfinanzhof gibt zu verstehen, dass eine voraussichtliche Nutzungsdauer von 50 Jahren bei neu gebauten Gebäuden in aller Regel nicht unangemessen ist. Sollte dies aufgrund der Bauart oder der in Aussicht genommenen Art der Nutzung im Einzelfall anders sein, wird dies in aller Regel von Anfang an erkennbar sein. In diesem Fall hat es der Steuerpflichtige in der Hand, von Anfang an auf Basis einer kürzeren Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG abzuschreiben.
BFH-Urteil vom 4. März 2008, Az. IX R 16/07
Wenn mehrere Gebäude auf einem Grundstück stehen und zunächst einen einheitlichen Nutzungs- und Funktionszusammenhang aufweisen, werden sie üblicherweise gemeinsam abgeschrieben. Entfällt dieser Zusammenhang im Laufe der Zeit, kommt eine einheitliche Abschreibung der Herstellungskosten des Gebäudes nicht mehr in Betracht, sofern ein Teil der Gebäude einem deutlich kürzeren wirtschaftlichen Verbrauch unterliegt als die übrigen Gebäude.
In dem Streitfall hat das zuvor urteilende Finanzgericht nicht berücksichtigt, dass mit dem wirtschaftlichen Verbrauch der Halle der einheitliche Nutzungs- und Funktionszusammenhang entfallen ist. Damit ist die Anlage laut dem Bundesfinanzhof in mehrere Wirtschaftsgüter zerfallen. Unzutreffend legte das Finanzgericht die gesamten Herstellungskosten der Gesamtanlage einer einheitlichen Abschreibung zu Grunde.
Der Bundesfinanzhof hat die Revision als begründet zugelassen, die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zurückgewiesen. Das Finanzgericht hat im zweiten Rechtsgang zu berücksichtigen, dass nach dem eingeholten Sachverständigengutachten mit Ablauf des Mietvertrags von 15 Jahren aufgrund des wirtschaftlichen Verbrauchs der Verteilungshallen nicht mehr vom Fortbestand der ursprünglichen Gesamtanlage als einheitlichem Wirtschaftsgut auszugehen ist.
BFH-Urteil vom 11.08.1993, Az. X R 82/90
Immobilieneigentümer haben ein Wahlrecht. Sie können selbst entscheiden, ob sie die typisierte Nutzungsdauer anwenden oder mithilfe eines Gutachtens eine kürzere Restnutzungsdauer für ihr Gebäude nachweisen.
Entscheidet sich ein Steuerpflichtiger für letzteres, ist es seine Aufgabe, in dem konkreten Einzelfall eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer nachzuweisen. Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass ihm eine Mitwirkungspflicht obliegt. Er muss darlegen und im Rahmen der ihm insoweit obliegenden subjektiven Feststellungslast nachweisen, wie sich die Schätzung der kürzeren Nutzungsdauer berechnet.
Die Würdigung der insoweit von Klägern dargelegten Umstände obliegt dann im Klageverfahren dem Finanzgericht als Tatsacheninstanz (ständige Rechtsprechung, vgl. u. a. BFH-Urteil vom 28. Oktober 2008 IX R 16/08).
BFH-Urteil vom 28. September 1971, Az. VIII R 73/68
Um die steuerliche Nutzungsdauer besser zu verstehen, ist das bereits zu Beginn der 1970er-Jahre gesprochene Urteil des Bundesfinanzhofs hilfreich. Es macht deutlich, dass man unter der Nutzungsdauer nicht die Gesamtnutzungsdauer eines Gebäudes versteht, sondern den Zeitraum der Nutzung durch den jeweiligen Eigentümer. Die typisierte Nutzungsdauer wird grundsätzlich ab dem Zeitpunkt der Anschaffung oder Herstellung eines Gebäudes gerechnet. Hat ein Gebäude im Laufe seiner Existenz mehrere Eigentümer, wovon der Gesetzgeber ausgeht, kommt es regelmäßig zu einer Gesamtnutzungsdauer, die 100 Jahre übersteigt.
Nach der neuen Gesetzgebung kommt es nicht mehr auf die Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes, sondern auf die individuelle Nutzungsdauer in der Hand des jeweiligen Steuerpflichtigen an. Das wird vielfach zu Abschreibungenüber einen längeren Zeitraum als 50 Jahre führen, da im Allgemeinen angenommen werden kann, dass ein Gebäude im Laufe von 50 Jahren mindestens einmal den Eigentümer wechselt. Wird das Gebäude innerhalb dieses Zeitraums mehrfach veräußert, kann seine Gesamtnutzungsdauer über 100 Jahre ansteigen.
Nutzungsdauer Gutachten
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