Finanzgericht Münster stärkt gängige Praxis zur Ermittlung der Restnutzungsdauer – Forderungen der Finanzverwaltung oft unzulässig
Das Finanzgericht Münster hatte eine Klage eines Vermieters zu entscheiden, der seine Immobilie mit einer Restnutzungsdauer von 23 statt der typisierten 50 Jahren abschreiben wollte. Das Urteil des Gerichts enthält viel Argumentation, die die Rechte von Vermietern und die gängige Praxis zum Nachweis einer tatsächlich kürzeren Restnutzungsdauer stärkt. Die 4 Kernaussagen des Finanzgerichts Münster zur Restnutzungsdauer Das Finanzgericht Münster hat am 2. April 2025 ein Urteil (Az. 14 K 654/23 E) gefällt, welches die Rechte von Vermietern hinsichtlich der optimierten Abschreibung auf Basis eines Restnutzungsdauer-Gutachtens stärkt. In der ausführlichen Urteilsbegründung stellt sich das Finanzgericht hinter die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) und stellt erneut klar, dass und wie Vermieter mithilfe der Restnutzungsdauer ihre Immobilie schneller abschreiben können. Wahlrecht: AfA nach typisierter oder tatsächlicher Nutzungsdauer Bemerkenswert ist, dass das Finanzgericht Münster in seinem Urteil ausdrücklich das gesetzliche Wahlrecht für die Art der Abschreibung betont. Mit dem expliziten Hinweis auf den „können“-Wortlaut in § 7 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) wird deutlich, dass es sich um keine reine Öffnungsklausel handelt, sondern um ein echtes Wahlrecht des Steuerpflichtigen. Restnutzungsdauer nach wirtschaftlicher Entwertung ausreichend Wahlrecht besteht auch bei der Grundlage, nach der sich die tatsächlich kürzere Restnutzungsdauer bemisst. Zwar stellt das Finanzgericht klar, dass zunächst von der technischen Nutzungsdauer – also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt (verschleißt) – auszugehen ist. Erweist sich die wirtschaftliche Nutzungsdauer allerdings kürzer als die technische, kann sich der Eigentümer bei der Absetzung für Abnutzung (AfA) hierauf berufen. Das hat bereits der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 23. Januar 2024 deutlich gemacht (Az. IX R 14/23). Der Abschreibungszeitraum verkürzt sich um die Differenz zur typisierten Abschreibung von in der Regel 50 Jahren (bei Baujahren von 1925 bis 2022). Die Folge: Das Gebäude kann schneller abgeschrieben werden, was den jährlichen Abschreibungsbetrag erhöht. Eine höhere Abschreibung führt zu einer geringeren Steuerlast. Die Steuerersparnis kann genutzt werden, um beispielsweise in weitere Immobilien zu investieren. Finanzgericht Münster betont: Ermittlung der Restnutzungsdauer ist immer eine Schätzung Der Kläger reichte bei seinem zuständigen Finanzamt ein Restnutzungsdauer-Gutachten ein, das seiner Immobilie eine tatsächliche Restnutzungsdauer von lediglich 23 Jahren bescheinigte. Demzufolge wollte der Kläger sein Gebäude mit 4,35 statt der üblichen 2,5 Prozent abschreiben – was das Finanzamt ablehnte. Mit seiner Klage wollte der Vermieter die erhöhte Abschreibung durchsetzen, was ihm gelungen ist. Für den streitigen Zeitraum im Jahr 2020 konnte der Kläger beinahe eine Verdoppelung des Abschreibungsbetrags von 5.176 auf 9.652 Euro durchsetzen. Das Finanzgericht Münster urteilte, dass der Einkommensteuerbescheid aus dem Jahr 2020 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Wenngleich der Steuerpflichtige die Darlegungs- und Feststellungslast für eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer trägt, handelt es sich auch bei der fachmännischen Ermittlung der Restnutzungsdauer immer um eine Schätzung, so das Gericht. Der Bundesfinanzhof hat bereits 1971 klargestellt, dass eine solche Schätzung „nach allgemeinen Grundsätzen keine Gewissheit, sondern vielmehr nur größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ verlangt (BFH-Urteil vom 28.09.1971 – VIII R 73/68). Die Schätzung der Restnutzungsdauer durch einen qualifizierten Sachverständigen kann nur dann verworfen werden, wenn die Restnutzungsdauer eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt. Einen Nachweis für eine unangemessene Schätzung hat das Finanzamt nicht erbracht. Gericht bestätigt erneut die freie Wahl der Gutachtermethode Obwohl die Gerichte, einschließlich des Bundesfinanzhofs, in der Vergangenheit auch hinsichtlich der Verfahren zur Ermittlung der Restnutzungsdauer eindeutig geurteilt haben, wird die Methodik seitens der Steuerbehörden regelmäßig angezweifelt. Umso erfreulicher, dass das Finanzgericht Münster in seiner Urteilsbegründung noch einmal betont, dass sich der Gutachter jeder sachverständigen Methode bedienen kann, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Eine Verengung der Gutachtermethodik ist mangels Rechtsgrundlage nicht möglich. In der Vergangenheit haben die Finanzbehörden immer wieder versucht, diese indirekt durchzusetzen, in dem sie insbesondere für die wirtschaftlich begründete Restnutzungsdauer ein Bausubstanzgutachten gefordert haben. Bereits 2021 hat der Bundesfinanzhof der Verengung der Methodik einen Riegel vorgeschoben (BFH-Urteil vom 28. Juli 2021, Az. IX R 25/19). Mit seinem an die Finanzämter gerichteten Schreiben vom 22. Februar 2023 hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) versucht, die Gutachtermethodik trotz der bisherigen Rechtsprechung einzuschränken. Darin wurden die Modellansätze für die Gesamtnutzungsdauer in Verbindung mit dem Modell zur Ermittlung der Restnutzungsdauer bei Modernisierungen nach der Anlage 1 und 2 der Immobilienwertermittlungsverordnung als nicht mehr ausreichend erklärt. Wie das Finanzgericht Münster klarstellt, gibt es weder eine gesetzliche Grundlage für die Verengung, noch lässt sich diese aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung ableiten. Insofern sind die durch das Bundesministerium für Finanzen formulierten Anforderungen, zumindest in wesentlichen Teilen unzulässig. Das Ministerium ist nicht befugt höhere Anforderungen an das Restnutzungsdauer-Gutachten zu stellen, als es das Einkommensteuergesetz tut. Anforderungen an Gutachter Das Gericht stellt klar, dass die im BMF-Schreiben vom 22. Februar 2023 geforderte Zertifizierung des Sachverständigen keine rechtliche Grundlage hat. In seinem Schreiben fordert das Finanzministerium, dass Nutzungsdauergutachten nur dann akzeptiert werden dürfen, wenn diese von einem öffentlich bestellten und vereidigten Gutachter oder einem nach DIN EN ISO/IEC 17024 zertifizierten Sachverständigen erstellt wurden. Weder § 7 des Einkommensteuergesetzes noch die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs vom 28. Juli 2021 und vom 23. Januar 2024 sehen vor, dass eine entsprechende Zertifizierung des Gutachters für den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer zwingend erforderlich ist. Gegen ein solches Erfordernis spricht insbesondere ein Umkehrschluss zu § 198 Abs. 2 Bewertungsgesetz (BewG) in der Fassung des Gesetzes vom 16.07.2021 (BGBl I 2931). Dort hat der Gesetzgeber alternative formelle Anforderungen an den Sachverständigen – darunter eine Zertifizierung nach DIN EN ISO/IEC 17024 – ausdrücklich geregelt. Da sich die im BMF-Schreiben enthaltenen Anforderungen an die formellen Voraussetzungen an den Sachverständigen nicht dem Gesetz entnehmen lassen, ist davon auszugehen, dass Gerichte bei einer juristischen Auseinandersetzung ein schlüssiges Gutachten auch dann akzeptieren würden, wenn der Gutachter trotz ausreichender Qualifikation keine Zertifizierung nach DIN EN ISO/IEC 17024 nachweisen kann. Alle Gutachter von Nutzungsdauer.com sind nach DIN EN ISO/IEC 17024 zertifiziert Wenngleich eine Zertifizierung nach DIN EN ISO/IEC 17024 trotz Vorgaben der Finanzverwaltung nicht zwingend notwendig erscheint, sind Sie bei uns auf der sicheren Seite. Sämtliche Sachverständige von Nutzungsdauer.com sind DIN-zertifiziert, sodass es erst gar nicht zu entsprechenden Konflikten mit dem Finanzamt kommt. Senat neigt zu Vor-Ort-Besichtigung bei Restnutzungsdauer-Gutachten Zumindest kurz reißt die Urteilsbegründung des Finanzgerichts Münster auch das Thema Vor-Ort-Besichtigung durch den Sachverständigen an. Im vorliegenden Fall hat zunächst kein Ortstermin stattgefunden,